Ein Spezialfahrzeug mit ausgeklügelten Bestandteilen – damit will Mercedes seine Komponentenfertigung beschleunigen.
Neunzig Minuten. In neunzig Minuten rettet Superman im Kino die Welt, durchleben Romeo und Julia auf der Bühne ihre tragische Liebe, entscheiden sich Fußball-Weltmeisterschaften. Neunzig Minuten dauert auch das Rüsten eines Rundtisches in der Komponentenfertigung bei Mercedes-Benz in Bremen. Zuviel, befand Teamleiter Roland Renz. Im vergangenen Jahr wandte sich der gebürtige Schwabe an STAHLBAU IHNEN, um seine Vorstellung einer Effizienzsteigerung durch ein mobiles Einsatzgerät zu verwirklichen.
Die Rüstzeit hatte Roland Renz im Visier, seit er im Jahr 2003 aus dem Stammwerk Sindelfingen nach Bremen kam. In seiner Abteilung werden an repetierenden Rundtischen mit sechs Stationen Komponenten der Fahrzeugproduktion bearbeitet und miteinander verschweißt. An der ersten Position legt ein Mitarbeiter die einzelnen Teile auf ein Werkzeug, an einer weiteren wird die exakte Bestückung per Kamera-Scan geprüft. Nachdem der Tisch eine Position weitergerückt ist, wird das Werkstück bearbeitet. Am Ende des Kreislaufs entnimmt ein weiterer Mitarbeiter das fertige Komponententeil vom Rundtisch und legt es in einen Ladungsträger. Die Komponentenfertigung umfasst knapp 200 verschiedene Bauteile, für jede Komponente gibt es eigene Unter- und Oberwerkzeuge.
"Schwere" Aufgabe
Das Problem: nicht für jedes Werkstück gibt es einen eigenen Rundtisch. Im Schnitt müssen auf jedem Rundtisch alle eineinhalb Tage die Werkzeuge gewechselt werden, der Fachmann nennt diesen Vorgang „rüsten“. Doch dies ist eine zeitaufwendige und – im wahrsten Sinne des Wortes – schwere Aufgabe. Bis zu 600 Kilogramm wiegt ein einzelnes Werkzeug, das vom Rundtisch demontiert, abtransportiert und durch ein neues ersetzt werden muss, sechsmal an jedem Rundtisch. Dazu kommen noch ein Oberwerkzeug und die diversen Anschlüsse, zum Beispiel Strom, Wasser oder Druckluft. Unter neunzig Minuten ist das kaum zu schaffen.
Roland Renz wollte die Zeit dennoch verkürzen. „Mir war klar, dass man dafür möglichst alle Werkzeuge auf einmal befördern muss und eine Vorrichtung braucht, um sie ohne großen Aufwand zu bewegen“, erzählt der Techniker, der in Ostfriesland seine neue Heimat gefunden hat. Seine Idee: eine Art Zulieferwagen mit eigener Ausrüstung für den schnellen Wechsel, der an den Rundtisch andockt.
Idee mit Patent-Potenzial
Zusammen mit drei Kollegen arbeitete er seine Idee kontinuierlich aus, schrieb ein Patent und baute einen Prototyp aus Schrottteilen. „Dann lud ich sechs Firmen ein und führte ihnen meine Idee vor“, erinnert sich der Teamleiter. Doch anstatt sich für die Umsetzung zu bewerben, sprangen vier Firmen gleich wieder ab: „Da wurde mir schon etwas angst und bange.“ Roland Renz wandte sich an Harm Janssen, seit fast zwei Jahrzehnten Bauleiter für STAHLBAU IHNEN auf dem Mercedes-Gelände in Bremen. Der informierte einen seiner erfahrensten Kollegen aus der Konstruktionsabteilung von STAHLBAU IHNEN , Eberhard Ulferts. Der Fachmann für die Automobil-Produktion entwickelte zusammen mit Jörg Berneisch , Konstrukteur im Bereich Sonder- und Spezialmaschinenbau aus Oldenburg, Vorschläge für die Umsetzung.
Einfache, wirtschaftliche Bedienung
In enger Abstimmung entstanden erste Konstruktionspläne, die alle notwendigen technischen Elemente in sich vereinten. Roland Renz hatte das richtige Team für sein Projekt gefunden. Nach Monaten intensiver Planung, Koordination, ständiger Verbesserungen und Probeläufen wurde der „Rüstwagen 1“, wie die Entwickler das Gerät tauften, am 1. August dieses Jahres übergeben. Auf den Rüstwagen hält der Mercedes-Mutterkonzern Daimler ein weltweites Patent. Nun sind die Mitarbeiter gespannt, wie schnell sich ein Rundtisch bei steigender Erfahrung mit der neuen Vorrichtung rüsten lässt. Mit dem Prototyp erzielten sie bei ersten Einsätzen bereits Zeiten weit jenseits der bisherigen eineinhalb Stunden. Ein Rüstvorgang dauerte lediglich zwanzig Minuten. In dieser Zeit hätten sich im Theater Romeo und Julia gerade erst kennengelernt, und in einem WM-Finale hätte man vor dem Fernseher noch nicht einmal das erste Bier ausgetrunken.