In dreijähriger Bauzeit errichteten der Windturbinenhersteller Enercon und der Bremer Energieversorger swb am Ufer der Weser das modernste Wasserkraftwerk Europas. Die Dachkonstruktionen über dem Turbinenraum stammen von STAHLBAU IHNEN.
Von der Straße aus ist das Weserwehr kaum noch zu sehen. Sandberge von der Größe eines Mehrfamilienhauses versperren den Blick. „Das sind grob geschätzt knapp zehntausend Kubikmeter“, meint Baustellenleiter Karl Ihmels beim Blick auf die Dünenlandschaft. „Wenn man bedenkt, dass wir für die Baustelle das Zehnfache ausgehoben haben, wird einem die Dimension des Projekts klar.“ Das „Projekt“ soll rund 17.000 Bremer Haushalte mit Strom versorgen, Anfang 2012 läuft es noch im Probebetrieb: das Weserkraftwerk am Nordufer des Flusses, neben dem Weserwehr. Zehn Megawatt Leistung sollen die zwei Turbinen allein mit der Kraft des Wassers erzeugen, über 35.000 Tonnen Kohlendioxid werden im Vergleich zu konventioneller Energieerzeugung aus Kohle dadurch pro Jahr eingespart. Betrieben wird das Kraftwerk von der EIPP GmbH, eines Tochterunternehmens des Windenergieanlagen-Herstellers ENERCON, und dem Bremer Stromversorger swb.
„Das größte Hindernis beim Bau war die Tiefe der Baugrube“, erinnert sich Karl Ihmels. „Der tiefste Punkt lag 20 Meter unter Normalnull. Da war es schon recht schwierig, die Grube ständig wasserfrei zu halten. Bei Hochwasser bedeutete das viel Koordination: Abpumpen, die Arbeiten fortsetzen, die Höhe der Spundwände anpassen. Und bei allem stand die Sicherheit an erster Stelle“, betont der Bauleiter, „im Havariefall mussten die Arbeiter die Grube schnellstmöglich verlassen können. Dafür war es wichtig, die Schutzbestimmungen penibel einzuhalten. Zum Beispiel im Winter die Zuwege eisfrei zu halten.“
Eine Baugrube 20 Meter unter Normalnull – direkt neben einem Flussbett.
Der Temperatursturz im Februar 2012, zwei Monate nach Start des Probebetriebs, konnte der Anlage schon nichts mehr anhaben. Denn der größte Teil des Kraftwerks liegt unterirdisch. Damit man im Schadensfall die tonnenschweren Maschinenteile aus dem Krafthaus, in dem sich die Turbinen und der Generator befinden, herausmanövrieren oder Ersatzteile hineinhieven kann, befinden sich zwei Öffnungen im Dach über dem Komplex. Verschlossen werden die Öffnungen von drei großen Stahldächern, die sich über Laufschienen verschieben lassen. Konstruiert und gefertigt wurden die Dächer aus tauchfeuerverzinktem S235-Stahl von STAHLBAU IHNEN. Zusammen wiegen sie etwa 14 Tonnen.
Unter einer der drei Dacheinheiten befinden sich der Transformator und die Schaltanlagen, die anderen beiden Einheiten bilden ein Doppeldach, darunter arbeiten die beiden Turbinen. Die Bauteile wurden durch die Deckenöffnungen an ihren Platz gehievt. „Sonst gäbe es als Zugang nur die Spindeltreppen an der Innenwand des Kraftraumes“, lächelt Rolf Lukas, Projektingenieur bei STAHLBAU IHNEN, „darüber transportiere ich vielleicht einen Werkzeugkasten nach unten, aber bestimmt kein solches Bauteil.“
Rolf Lukas war auf Seiten von STAHLBAU IHNEN der verantwortliche Projektingenieur: „Das war die erste verfahrbare Dachkonstruktion, die wir inklusive Getriebemotoren, Stromversorgung und elektronischer Steuerung geliefert haben. Aber die Anforderungen waren uns ja bekannt, sprich das Gewicht und die Geschwindigkeit, mit der sich die Dacheinheiten öffnen sollten. Dann konnten wir gezielt den Motor auswählen und in die Konstruktion integrieren.“
„Konstruktiv bei der Sache, genau so muss es sein“
Neben den Stahldächern zeichnete STAHLBAU IHNEN darüber hinaus für den Bau der Warte aus einer Aluminium-Glas-Fassade sowie verschiedene Podeste, Bühnen, Leitern, Verkleidungen und Einhausungen auf dem Gelände verantwortlich. „Eine Bühne hängt direkt ohne Abstützung an der Wand des hinteren Schleusentors. Für die Montage musste ein Kran über die Baugrube hinweg die Arbeitsbühne halten. Das schaukelte dann hier und da ganz schön“, erinnert sich Rolf Lukas.
Trotz solcher Widrigkeiten konnte STAHLBAU IHNEN alle Arbeiten rechtzeitig abschließen. „Diese Termintreue ist keine Selbstverständlichkeit“, findet Karl Ihmels. „STAHLBAU IHNEN war von Beginn an konstruktiv bei der Sache, genau so muss es sein“, lobt er. Entsprechend pünktlich konnte das Bauprojekt Weserkraftwerk abgeschlossen werden. Am Ende der dreijährigen Bauzeit steht das derzeit modernste tidenabhängige Laufwasserkraftwerk Europas. Bei der Aufnahme des Probebetriebs Ende 2011 betonte Bremens Umweltsenator Dr. Joachim Lohse: „Bremen kann stolz sein auf diese innovative Anlage, die erheblich zur Umstellung auf erneuerbare Energien und damit zum Klimaschutz beiträgt.“ Mithilfe des ENERCON-Know-hows aus der Windenergie entstand ein ausgeklügeltes System, das Umweltschutz mit maximaler Energieausbeute verzahnt. Das Kraftwerk bezieht sein Wasser aus dem Lauf der Weser. Hierfür sammeln sich im Einlaufbecken am Nordufer des Flusses in jeder Sekunde bis zu 220 Kubikmeter Wasser – die Menge von rund 1.000 Badewannen. Mit maximal 0,75 Metern pro Sekunde fließt es zunächst durch einen groben, anschließend durch einen feinmaschigen Rechen. „Diese Rechen schützen die Fische davor, in die Anlage zu geraten“, erläutert Karl Ihmels. „Wenn das Wasser schneller wäre, würden die Fische an die Rechen gepresst und könnten nicht mehr aus eigener Kraft wegschwimmen.“
Die Fische passieren die Anlage durch ein spezielles „Bypass-System“.
Hinter den Rechen wird das Wasser in einen unterirdischen Triebwasserkanal gelenkt. Dieser verengt sich und beschleunigt das Wasser auf bis zu sieben Meter pro Sekunde. Am Ende des Kanals rutscht das Wasser zwei s-förmige Rohre hinab und trifft ungebremst auf zwei Kaplan-Turbinen – die mit ihrer Leistung von je 5 Megawatt eine Größenordnung darstellen, wie sie bislang noch nicht konstruiert wurde. Anschließend erreicht das Betriebswasser wieder die Weser, die in der Zwischenzeit das Weserwehr passiert hat.
Die Fische haben von alldem nichts mitbekommen. Für sie wurde ein spezielles „Bypass“-System eingerichtet. Der Rechen, der sie schützt, ist gewölbt und oben am Kopfende geschlossen. Fische im Oberflächenwasser schwimmen über den Rechen hinweg in einen Fischabstieg. Ihre Artgenossen, die sich in tieferen Schichten fortbewegen, nehmen einen anderen Weg. Für sie befinden sich 34 Fenster im Rechen, durch die sie über ein Rohrsystem ebenfalls den Fischabstieg erreichen. Hier können die Fische gefahrlos parallel zur Anlage weiterziehen. Fische, die flussaufwärts zur Quelle schwimmen, finden parallel zur Anlage einen Fischaufstieg mit rauem, der Natur nachempfunden Untergrund und mehreren Ruhezonen zum Erholen. Rund 10 Prozent der Baukosten flossen in den Fischschutz.
Wenn zum Start des Regelbetriebs alles fertiggestellt ist, wird das Wasserkraftwerk fast vollständig unter dem Boden versteckt sein. Neben der Anlage entsteht ein Park. Dann erinnern nicht einmal mehr die hohen Sandberge an die Baustelle.